concert-review - MATTHIAS KAUL composer / performer

MATTHIAS KAUL
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Konzert Kritik: TAZ , 25. Juli 2000

Surrealer Salat.
Der Percussionist Matthias Kaul vewandelte den Oldenburger Schlossgarten in ein Biotop für brünftige Wasserbüffel
Das Rad neu zu erfinden gilt als Ausdruck größter Umständlichkeit. Dass die sich aber durchaus lohnen kann, um ein bisschen mehr über die Dinge im Allgemeinen und im Besonderen über deren akustische Qualitäten herauszufinden, das bewies Matthias Kaul an einem sonntäglichen Oldenburger Nachmittag im dortigen Schlossgarten. In "Timpani Ride" produziert der Hamburger Grenzwellenerkunder "federleichten Blödsinn", frei nach einem Gedicht des belgischen Surrealisten Henry Michaux. Kaul bespricht das Paukenfell, das Fußpedal per Hand bedient lässt die Stimme mehrschichtig schwingen, psychedelisches "Wuhu" tönt gespenstisch in den Baumkronen. Ein leises Sirren mischt sich ein, Ritzeltöne, das Fahrrad als Ready-made. Mit einem Bratschenbogen fiedelt Kaul auf den Speichen, die mehrstimmig klingen, dort, wo sie sich zur Nabe hin überkreuzen. Und der Reifen selbst wird Donnergrollen: Mit einem Stab wird der Abrieb auf das Paukenfell übertragen. Dazu, stetig wispernd, der Zeremonienmeister, surrealen Salat rezitierend. Flirrend, wie das weiße Sonnenlicht an diesem Nachmittag, schneiden die transparenten Töne einer Glasharmonika die Sinne. Sie schwirren heran, aus dem luftigen Nichts, elfengleich, werden eindringlich, um im selben Moment zu verklingen. "Bachmann" ist, wie alle Produktionen, eher ein Hörspiel, in das Textfragmente der Autorin Ingeborg Bachmann aus dem Off eingeplappert werden. Kaul umarmt, befingert, überbläst die Glasröhren. Geisterhafte Mehrstiminigkeit erinnert an Synthy-Sounds, aber hier ist eben alles handgemacht und daher emotional packender, weil sphärisch und bröckelnd zugleich. Keine Eindeutigkeiten. Lustig sind diese Hörgebilde auch, außerdem nett zu gucken. Kaul goes Happening, nämlich ab in die Gummihose und dann in den Oldenburger Schlossparkbach, fettgemästete Enten erschrecken. Plastikrohre, Kürbisschalen und Teekessel werden zu Wasser gelassen. Dieser Krempelhafen wird Zoo: Brünftige Wasserbüffel platschen dort, geraten in Streit, traben drohend auf ein buddhistisches Kloster zu, dessen Gong immer wieder absäuft. Die Kürbisse werden mit - normalen! - Klöppeln traktiert. Eine warme Bass treibt mit sattem Ton den Rhythmus an, helle Toms zersplittern scharf, Kürbisschalen fliegen durch die Gegend. Enten schreien laut "gna gna" und kollabieren vollends, als eine elektrische Zahnbürste im Bauch eines Teekessels selbigen zum Flitzen bringt. Eine lautmalerische Performance, die zeitweise richtigen Drive bekam und außerdem als Unikat in Kauls Biographie eingehen wird: "Schlosspark Oldenburg" - gab's nur einmal. umsonst und draußen. Ätschibätsch.

Marijke Gerwin Die TAZ


Das Münchner Opernfestival und der Jazz

Schlagzeuger Matthias Kaul nimmt ein elektrisches Klangbad im Cuvilliés-Theater

Brotzeit und Champagnerflaschen, Wolldecken und Abendkleider: bei „Oper für alle“ verwandelte sich der Max Joseph Platz wieder einmal in ein Open-Air-Kino der besonderen Art. Händels „Cäsar in Ägypten“ wurde live aus dem Nationaltheater via Groß-Videoleinwand übertragen. Doch nicht nur bei diesem Event drängelte sich das Publikum: Von insgesamt 19 Musiktheaterproduktionen von Barock bis Neuzeit waren die meisten ausverkauft. Trotz Haushaltssperre entfalteten die Münchener Opernfestspiele wieder ihren Glanz – wen wundert‘s: der Geldgeber ist ja nicht die Stadt, sondern der Freistaat.

Eher im Schatten dieser Prachtentfaltung, an den Festivalrändern gewissermaßen, gab es wieder die experimentelle Veranstaltungsreihe Festspiel + (wie plus). Von 13 Konzerten waren immerhin 5 dem Jazz gewidmet: improvisierter Musik von Jan Garbarek, Evan Parker, Gonzalo Rubalcaba, Pierre Favre, Uri Caine und Matthias Kaul.

Im Rahmen der Münchner Opernfestspiele nimmt Matthias Kaul ein Bad. Foto: Heiland

Schlagzeuger Matthias Kaul (siehe Foto oben links) war zweifelsfrei der experimentierfreudigste unter den genannten Improvisatoren: Vor einem kleinen Kreis von Zuhörern, die sich mehrheitlich gut amüsierten, nahm er mitten auf der Bühne des Cuvilliés-Theaters ein „Electric Bath“. Gekleidet in Frack und Fliege zelebrierte Kaul mit valentineskem Ernst ein einstündiges elektronisches Klangbad. Kalebassen, Schläuche, Flaschen, Wassertropfen, Schläge, Kratz- und Schabgeräusche auf und in der Emailwanne gehörten zu seinem unerschöpflich wirkenden Fundus von verfremdeten Klangerzeugern und Wasserinstrumenten. „Electric Bath“ war auch eine Reise zurück in die Kindheit: Wer hat nicht selbst einmal mit ähnlichen „Instrumenten“ in der Badewanne kreativ gearbeitet. Mikrofone unter und über Wasser machten bekannte und neue Sounds hörbar, verfremdeten sie aber auch. Das Ritual des Badens, des Waschens verwandelte Kaul in ein Ritual eines Konzertabends. War auch die „Herstellung“ der Geräusche, Töne, Rhythmen unkonventionell: Kaul entlockte seinem Zuber nichts wirklich Neues. Das Geräusch gehört spätestens seit der Musique concrète zum Repertoire der Komponisten, nimmt man es genau, dann steht Kauls Musik in einer jahrhundertealten Tradition von Wassermusiken. Kauls Verdienst lag in seiner virtuosen solistischen und schauspielerischen Darbietung: die einstündige Steigerungsdramaturgie seiner „Badewannensymphonie“ überzeugte, und man mochte sich ihr auch als abgeklärter, mit allen Wassern gewaschener Hörer nicht entziehen.

In einem ganz anderen Terrain bewegte sich da Saxophonist Evan Parker, der im Akademietheater im Prinzregententheater eine Gesamtschau seines, aus der Tradition von John Coltrane und Albert Ayler entwickelten expressiven Solospieles darbot. Mit Hilfe von Zirkularatmung erzeugte Parker jene ausgedehnten, einzigartigen Klanglandschaften, für die er so berühmt ist. Neu war die Konfrontation seiner Klangwelt mit den Saxophon-Kompositionen von Giacinto Scelsi und Giorgio Netti. Diese interpretierte Marcus Weiss, ein aus Basel stammender Vertreter einer jüngeren Musikergeneration, für die neue Musik und die Fähigkeit zu kreativer Improvisation sich nicht länger ausschließen. Unkonventionell auch eine virtuose Duoimprovisation der beiden sehr verschieden agierenden und klingenden Musiker.
Andreas Kolb


Konzert Kritik: Pforzheimer Kurier, 2000

"Ich klopfe einfach gegen alles"
Der Schlagzeuger Matthias Kaul gastiert in der Aula der FH.
Matthias Kaul kratzte mit den Fingern langsam über eine flache Trommel. Die Finger wurden schneller, die Töne heller, als wuselten und krabbelten tausende von Insekten durch herbstliches Laub. Dann stellte er eine Plastikflasche auf eine andere Trommel, ließ sie hin, und her wippen, bis der Rhythmus schneller wurde, immer schneller und der Klang schließlich versiegte. Er beschleunigte das Hinterrad eines aufgebockten Fahrrades und übertrug die Schwingungen mit Hilfe eines Bogens auf eine große Basstrommel, und es klang, als ob der Wind eines aufkommenden Gewitters durch die Bäume fegte oder eine U-Bahn in einen Bahnhof einbremste. Die Verbilderung des Klangs: mal deutlicher, mal schwächer riefen seine Stücke fast zwangsläufig einen interpretativen Bilderreichtum im Zuhörer hervor. Auch in dem Stück "Mazza", in dem er den Besuch in einem exotischen Restaurant thematisiert, und die unterschiedlichen Reaktionen des Gastes auf ihm unbekannte Speisen: die Vertonung des Geschmacks, die Anwendung der Sinne auf sich selbst. Ein ganzes Arsenal verschiedenster Gegenstände und Schlaginstrumente hatte Kaul in der Aula der Fachhochschule am Mittwochabend aufgebaut, mehrere Trommeln, unterschiedliche Gefäße, Steine, Becken, Kuhglocken, übergroße Schrauben. Und natürlich sein aufgebocktes Fahrrad; ein wahres Klangwunder, wenn er mit Stöcken zwischen den Speichen trommelte oder komplexe Melodienläufe erzeugte, indem er Rahmen und Speichen mit einem Geigenbogen zum Schwingen brachte. Bilderreich, kreativ, abseits bekannter Klänge, so lässt sich der Auftritt zusammenfassen. Aber wie kommt man als ehemaliger Jazz- und Rockschlagzeuger auf solche Ideen? "Ich klopfe einfach gegen alles, um auszuprobieren wie es klingt", sagte der 51-jährige Hamburger. "Und wer hat nicht als Kind irgendwann einen Stock zwischen die Speichen eines Rades gehalten." Sind seine Stücke komponiert oder improvisiert? Es gebe Fahrpläne, antwortete Kaul. Das bedeutet, der Ablauf der Stücke ist zwar fast immer identisch. Gleichzeitig passt er sie jedoch den Räumen an, in denen er sie aufführt. "Manchmal entdecke ich in einem Raum einen neuen Ton", beschrieb Kaul seine Arbeitsweise, "den baue ich dann natürlich aus und die Stücke werden entsprechend länger." Kaul arbeitete mit namhaften Musikern und Kom- ponisten wie John Zorn, John Cage, Carla Bley oder Malcolm Goldstein und komponierte zahlreiche Film-, Theater- und Hörspielproduktionen.
Harald Bott Pforzheimer Kurier


  
     
Konzert Kritik: Frankfurt, 05.Februar 1996

Das Medium ist der Musiker
Matthias Kaul spielte in Frankfurt das perkussive Werk von James Tenney.
Am Anfang war das Idiophon - zumindest was die nicht - vokale Musik betrifftt. Das Fallen eines Regentropfens auf einen Stein, das Brechen eines Astes, das Aufschlagen eines weggeworfenen Knochens mögen erste musikalische Äußerungen von Primaten evoziert haben. Die rasanten Trommelwirbel einem Spechtes dienen der Nahrungssuche, das Slap-stick-Klappern des Storches der Fortpflanzung und dem Familienzusammenhalt, doch ein Schimpanse kann einfach rumsitzen und Stöcke oder Steine aufeinanderschlagen, um seinen keckernden Gesang zu untermalen einfach so, aus einer Lust heraus. Am Ende war der Geräuschteppich. Vom Prasseln eines Regenschauers auf das urwäldliche Blätterdach über Saties musique de rneublement bis elevator music sind wir umgeben von natürlichen oder kultürlichen Klängen, die wir, je nach Rezeptionsbereitschaft als Lärm oder Töne aufnehmen. Für James Tenney kann selbst der Verkehrslärm an der Straßenkreuzung im richtigen Wahmehmungszustand zu Musik werden. Tenney hat sich, nach intensiven Ausflügen in die elektronische Musik, wieder auf die Ursprünge besonnen und komponiert in den letzten Jahren verstärkt für Perkussionsinstrumente. Doch was heißt: komponiert? Abgesehen von den aleatorischen Elementen, die bereits in den sechziger Jahren mitbestimmend für Tenneys Arbeiten waren, hat kaum ein Komponist John Cages Definition der experimentellen Musik so radikal angewandt wie Tenney: Seine Partituren sind Handlungsanweisungen, bei denen Komponist und/oder Interpret dieMusik genauso neu entdecken wie das Publikum. Die Bühne im Frankfurter Theaterhaus, in dem die Serie "Theaterhaus Konzerte" des Hessischen Rundfunks gegeben wird, ist angefiüllt mit musikalischem Gerät: viel Metall eine Reihe Membranophone, Holz und eine von einem überdimensionalen Bogen gespannte Stahlsaite, die nach Bedarf gestrichen oder geschlagen werden kann. Der Zu- schauerraum ist erstaunlich gut gefüllt mit Fachpublikum. Matthias Kaul, seit mehr als zehn Jahren Mitglied des Ensembles l'art pour l'art, kniet vor einem freischwingend aufgehängten Tam Tam und beginnt, es mit großen Filzschlegeln zu bearbeiten. Leise, kaum hörbar, beginnt sich ein Sirren im Raum zu verbreiten, zunächst mehr als ein Gefühl dann erst als ein Geräusch, das sich über das Surren der Klimaanlage erhebt, schließlich als eine Musik voller vielfältiger obskurer Obertöne, die sich scheinbar von der Bündelung der Grundtöne lösen wollen, doch - bei aller vermeintlicher Entfernung von diesen - natürlich nicht wegkommen. So schwirren sie durch den Raum, steigern sich in ein Crescendo, kehren zurück zu ihren Erzeugerklängen und auf einmal, wenn man die Augen schließt, scheint es, als kreise das ganze Instrument durch den Saal, als sei dieser Saal - selbst bei relativ trockener Akustik - selbst Instrument, und man ist nicht mehr sicher, ob diese ins Unendliche gehende Klangbündelung nun wirklich dem Tam Tam entstammt oder im eigenen Kopf entsteht. Kaul wechselte zu kleineren Schlegeln, zu kleineren Instrumenten, und wenn er in rasenden Läufen über Becken dahinfegt, die auf Trommelfellen liegen, so daß - egal, was er anschlägt - die Becken den Trommelklang und die Felle die Beckentöne beeinflussen und verändern, so bleibt doch in dieser Gesamtheit jeder einzelne Ton stehen als Bestandteil der Universalität von Klängen. Man weiß nicht, ob man Kaul überhaupt als Musiker im abendländischen Sinne bezeichnen kann. So wie er da sitzt, steht oder geht, ist er nur ein Medium, dessen einzige Aufgabe es ist, die in jedem Instrument schlummernden Töne herauszulassen, ein Magier, der nichts erzwingen will, aber alles ermöglichen kann. Das hat nichts mit pseudomeditativer Versenkung zu tun, der die Apologeten einer in Mode gekommenen world music anheimfallen, sondern mit der sinnlich erfahrbaren Erkenntnis, daß die Welt ohnehin aus Musik besteht, und daß rnan sie nur herauslassen (bzw. -hören) muß. In der Freiheit der Interpretation, die Tenney Kaul überläßt, steckt auch die Freiheit der Rezeption, und so entsteht im Kopf eines jeden Zuhörers ein anderes Stück, und diese Dutzende verschiedener Stücke ergeben erst in ihrer Gesamtheit - ähnlich der Bündelung, Verselbstständigung und Einheit der unendlichen Zahl von Obertönen - die eigentliche Komposition, die jeweils an jedem Aufführungsort neu entsteht, deren Prozeß nachzuvollziehen und neuzuerleben ist und die dem teleologischen Determinismus des Industriezeitalters die Erkenntnis entgegenstellt daß der Weg das Ziel ist.
Frankfurter Rundschau, Michael Rieth FRANKFURT A.M.


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